Fachinformation Rehabilitation der Kognition

Was ist neuropsychologische Rehabilitation?

Die Ausfälle und Einschränkungen nach einem Schlaganfall sind vielfältig. Während eine Lähmung der Arme oder der Beine für den Patienten selbst und für die Umwelt sichtbar ist, werden viele kognitive Defizite nur durch veränderte Verhaltensweisen deutlich.

Ziel der neuropsychologischen Rehabilitation ist die Reduzierung dieser durch die Hirnschädigung eingetretene Behinderung, die ohne Intervention chronisch werden würde (Cramon & Zihl, 1988). Hierbei wird angenommen, dass einzelne Verhaltensweisen und Fähigkeiten bestimmten Regionen des Gehirns zugeordnet werden können. Bei gesunden Personen sollten die gleichen Fähigkeiten und Eigenschaften von den gleichen Hirnregionen produziert werden.

Durch ein auf den Patienten abgestimmtes Training wird versucht die Folgeschäden des Schlaganfalls im Alltag zu minimieren. Innerhalb der ersten sechs Monate bilden sich eine Reihe von Störungen spontan zurück, jedoch nicht alle ohne Unterstützung.

Für den Therapieverlauf und die Therapieplanung ist es wichtig zunächst die Defizite und die Ressourcen (verbleibenden Fähigkeiten) des Patienten zu erfassen und darauf aufbauend gemeinsam mit dem Patienten die Therapieziele festzulegen.

Die Motivation des Patienten zur Mitarbeit ist eine wichtige und unerlässliche Vorraussetzung für die Therapie.

Was sind kognitive Funktionen und wie kann man sie messen?

NP-Diagnostik

Kognitive Funktionen umfassen geistige Tätigkeiten und Leistungen wie z.B.

  • Sprache
  • abstraktes Denkvermögen
  • Handlungsplanung
  • Aufmerksamkeit
  • Gedächtnis
  • Wahrnehmungsfähigkeit.

Alle diese Leistungen sind wichtig für die Alltagsbewältigung und ein Ausfall einzelner oder mehrerer Funktionen kann die Einschränkung bzw. den Verlust der funktionellen Unabhängigkeit bedeuten.

Ziel der neuropsychologischen Diagnostik sind Aussagen über die Art, Ausmaß und Entwicklung von Störungen im Leistungs- und Persönlichkeitsbereich sowie die emotionale Reaktion des Patienten auf diese Störung.

Für ein spezifisches rehabilitatives Training ist es notwendig sowohl die geschädigten Funktionen als auch die Stärken des Patienten möglichst detailliert zu erfassen.

Die neuropsychologische Diagnostik wird häufig im Krankenhaus oder ähnlichen Institutionen durchgeführt. Den Patienten werden eine Reihe von Aufgaben vorgelegt und Fragen gestellt. Das Lösungsverhalten des Patienten gibt Aufschluss über die zugrunde liegende Hirnleistungsstörung und Hinweise auf die daraus resultierenden alltäglichen Schwierigkeiten. Zusätzlich zu den eingesetzten standardisierten Untersuchungsverfahren, anhand derer beurteilt werden kann, ob eine Leistungseinschränkung vorliegt, sind für den Therapeuten beobachtbare Verhaltensweisen des Patienten für die Diagnostik relevant (Goldenberg, 1998).

Anhand der Untersuchungsergebnisse wird entschieden:

  • Welche Funktionen behandelt werden müssen
  • Wie die Behandlung gestaltet wird
  • Zu welchen Zeitpunkt mit der Behandlung begonnen werden soll
  • Wann die Behandlung beendet oder abgebrochen werden kann.

Anhand einer Verlaufsuntersuchung sind Aussagen über den Behandlungserfolg und/oder einer Progredienz der Symptomatik möglich. Da das Risiko einer Demenz bei Patienten mit einem Schlaganfall zwei- bis dreimal höher ist als bei gesunden Personen (Leys, Henon, Mackowiak-Cordoliani & Pasquier, 2005), sollte bei einer selbst- oder fremdwahrgenommenen Veränderung der kognitiven Leistungsfähigkeit eine erneute neuropsychologische Testung erfolgen.

Mechanismen der neuropsychologischen Rehabilitation

Restitution

Unter dem Begriff "Restitution" versteht man die Wiederherstellung der durch die Hirnschädigung verlorenen kognitiven Funktionen z.B. indem andere nicht geschädigte Bereiche des Gehirns die beeinträchtigte Funktion vollständig oder teilweise übernehmen.

Kompensation

Ist eine Funktion irreversibel ausgefallen, können manche Verhaltensweisen und Leistungen durch andere psychischen Funktionen übernommen und ausgeglichen werden. Für die Umwelt ist ein ähnliches oder gleiches Verhalten sichtbar, doch übernehmen nun andere kognitive Mechanismen die Aufgabe der geschädigten Funktion.

Adaptation

Eine spezielle kompensatorische Strategie stellt die Anpassung der sozialen Situation des Patienten an mögliche bleibende Einschränkungen dar. Das betrifft die beruflichen Tätigkeiten ebenso wie die Beziehung zu den Angehörigen und Bezugspersonen oder den Einsatz von Hilfsmitteln (Goldenberg, 1998).

Bewährte Therapieverfahren und deren Wirksamkeit

NP-Training

Die Auswahl der Trainingsmethoden orientiert sich am Schweregrad sowie an der Belastbarkeit der Patienten. In der Regel wird eine Kombination restitutiver und kompensatorischer Behandlungsansätze durchgeführt.

Insbesondere für die spezifische Rehabilitation der Apraxie, dem Verlust der willentlichen Ausführung komplexer Bewegungen und Handlungen, für das Training der visuell-räumlichen Vernachlässigung (Neglect) und von Gesichtsfelddefekten bei Schlaganfallpatienten finden sich gute Wirksamkeitsnachweise (Cicerone et al., 2005). Hinweise auf rehabilitative Verfahren der Sprache finden sich im Abschnitt "Rehabilitation von Sprachstörungen" und sind nachfolgend nicht berücksichtigt.

unspezifische Stimulation:
Bei diesem Therapieansatz werden allgemeine und nicht zielgerichtete Sinnesanregungen zur Steigerung globaler Leistungen eingesetzt (z.B. "Snoezelen"). Diese Behandlungsverfahren zeigen jedoch keine spezifischen Trainings-Effekte.

spezifische Stimulation:
Grundlage eines Trainings spezifischer Leistungen ist ein detailliertes Wissen über die Art und das Ausmaß kognitiver Störungen und setzt Fachkenntnisse über die Funktionsweisen des Gehirns sowie methodische Kenntnisse der Therapieverfahren und Therapieplanung voraus. Die Therapie sollte möglichst in einer hohen Frequenz und Intensität über einen längeren Zeitraum erfolgen.

  • computergestützte Verfahren: Für das Training von Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen, aber auch zur Rehabilitation der Einschränkungen durch ein Gesichtsfelddefekt werden oftmals computergestützte Verfahren eingesetzt. Diese haben den Vorteil, dass der Schweregrad variiert werden kann was eine Anpassung an das Leistungsniveau des Patienten erlaubt. Darüber hinaus kann dem Patienten seine Leistungsfähigkeit unmittelbar nach oder während des Trainings rückgemeldet werden.
    Training von Gesichtsfelddefekten: In einer klinischen Studie wurde die Wirksamkeit eines restitutiven computergestützten Trainings von Gesichtsfelddefekten nachgewiesen (Kasten, Wust, Behrens-Baumann & Sabel, 1998).
    Aufmerksamkeitstraining: Mittels computergestützten Training können spezifische Aufmerksamkeitsprozesse (längerfristige Aufmerksamkeitszuwendung) trainiert werden, wobei derzeitig der Beleg einer verbesserten Alltagskompetenz noch aussteht (Schottke, 1997; Sturm & Willmes, 1991). Computerisierte Scanning- und Aufmerksamkeitstrainings wirken sich positiv auf die Rehabilitation des Vernachlässigungsphänomens (Neglect) aus (Robertson, Gray, Pentland & Waite, 1990).
  • Störungsorientierte nicht computergestützte Verfahren: Ein Beispiel für ein störungsspezifisches Training findet sich bei Smania und Mitarbeiter (Smania, Girardi, Domenicali, Lora & Aglioti, 2000) für die Rehabilition der Apraxie [bitte Link zum Begriff im oberen Teil des Abschnittes einfügen, da die Definition oben stehend nachfolgt]. Mit den Patienten wurden verschiedene Gesten unter verschiedenen Bedingungen eingeübt. Diese Intervention führte zu einer Reduzierung apraktischer Fehler bei der Ausführung komplexer Gesten. Schottke (Schottke, 1997) kombinierte computergestützt und andere Verfahren zur Rehabilitation von Aufmerksamkeitsstörungen was bei den Patienten zu einer Verbesserung verschiedener Funktionen der Aufmerksamkeit führte.
  • Strategietraining: Das Einüben gezielter mentaler und/oder externer Strategien ist ein häufig angewandtes Kompensationstraining. Wirksamkeitsnachweise finden sich für die Rehabilitation des Neglects (Kalra, Perez, Gupta & Wittink, 1997), der Apraxie (Donkervoort, Dekker, Fieneke, Stehmann-Saris & Deelman, 2001) und leichter Gedächtnisstörungen (Kaschel et al., 2002).
  • Einsatz von Hilfsmitteln: Der Einsatz von Hilfsmitteln z.B. das Führen eines Tagebuches bei Gedächtnisstörungen bietet eine weitere Kompensationsmöglichkeit der beeinträchtigten Funktionen. Erste Befunde zeigen auf, dass das Führen eines Tagebuchs bei Patienten mit leichten Gedächtnisdefiziten insbesondere in Kombination mit einem Strategietraining die Leistungsfähigkeit verbessert (Ownsworth & Mcfarland, 1999).
  • Belastungsproben: Sofern die Möglichkeit besteht bietet sich an, insbesondere bei Patienten die eine Wiedereingliederung in den Beruf planen, ihre Belastungsfähigkeit in einer realen Arbeitssituation auszutesten.
  • Psychotherapeutisch orientierte Einzelgespräche: Eine psychotherapeutische Betreuung wird in der Regel bei psychiatrischer Begleitsymptomatik durchgeführt. Am häufigsten sind depressive Anpassungsstörungen. In besonders schwierigen Phasen des Anpassungsprozess erfolgt eine psychotherapeutische Begleitung der Patienten und/oder deren Angehörigen. Diese ist überwiegend begrenzt auf die Dauert des stationären Aufenthaltes.

Oftmals kompensieren Patienten ihre Defizite durch einen erhöhten Zeitaufwand und vermehrte Anstrengung, für viele Tätigkeiten wird folglich mehr Zeit benötigt. Die Möglichkeiten neuropsychologischer Rehabilitation sind begrenzt. Dauerhafte Folgeschäden des Schlaganfalls sind somit nicht auszuschließen, so dass gegebenenfalls die Erwartungshaltung des Patienten an sich selber und/oder der Angehörigen an den Patienten im Verlauf der Therapie thematisiert und Strategien zur Modifikation entwickelt werden sollten.

Neue Therapieverfahren

Seit kurzem werden "virtuelle Welten" zur Diagnostik und Rehabilitation kognitiver Störungen erprobt (Baheux, Yoshizawa, Tanaka, Seki & Handa, 2005; Brooks, Rose, Potter, Jayawardena & Morling, 2004; Rydmark, Broeren & Pascher, 2002). Diese haben den Vorteil, dass Test- und Trainingssituationen realitätsgetreu gestaltet werden können und somit die Leistungsfähigkeit der Patienten in komplexen Belastungssituationen erfasst und trainiert werden kann.

Medikamentöse Behandlung kognitiver Störungen

Die Nervenzellen im Gehirn verständigen sich untereinander über verschiedene Botenstoffe (Neurotransmitter) und regulieren somit unser Denken und unsere Bewegungen. Die wichtigsten Neurotransmitter, die mit kognitiven Funktionen in Zusammenhang gebracht werden sind die Acetylcholine, Dopamine, Norepinephrine und Glutamat (Parton, Coulthard & Husain, 2005). Neuro-Psychopharmaka greifen in die Prozesse auf Neurotransmitterebene ein.

Antidepressiva:

Eine Antidepressive Medikation wirkt sich positiv auf die emotionale Stimmungslage aus, führt aber nicht zwangsläufig zu keiner vollständigen Remission einer Depression nach Schlaganfall (Hackett, Anderson & House, 2004). Die Effektivität von Antidepressiva zur Prävention einer Depression wurde hingegen noch nicht ausreichend belegt (Anderson, Hackett & House, 2004).

Cholinesterase(ChE)-Hemmer:

Eine demenzielle Entwicklung als Spätfolge nach einem Schlaganfall tritt bei ca. 30% der Patienten auf (Leys et al., 2005). Bei Patienten mit einer vaskulären Demenz beeinflusst die Gabe von ChE-Hemmer die Kognition positiv (Craig & Birks, 2005; Malouf & Birks, 2004). Die verfügbaren ChE-Hemmer sind jedoch bislang für diese Indikation nicht zugelassen.

Memantin:

Memantin verhindert die Nervenüberreizung durch den Botenstoff Glutamat. Es blockiert den Wirkort von Glutamat an den Nerven, den Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDA) und gehört daher zur Gruppe der NMDA-Antagonisten. Die Medikation mit Memantin führt bei Patienten mit einer vaskulären Demenz ebenfalls zu einer Verbesserung kognitiver Leistungen (Areosa, Sherriff & McShane, 2005). Memantin hat für diese Indikation bisher keine Zulassung erhalten.

Nebenwirkungen, die sich auf die Kognition auswirken können

Zu beachten ist, dass Neuro-Psychopharmaka mit

  • antihistaminerger Wirkung (z.B. niederpotente Neuroleptika, trizyklische Antidepressiva) sedieren können
  • mit anticholinerger Wirkung (z.B. trizyklische Antidepressiva, Neuroleptika) auch Gedächtnisstörungen hervorrufen können und
  • mit dopaminerger Wirkung (z.B. Neuroleptika, Dopaminagonisten) Psychosen und Parkinson-Symptome auslösen können (Sturm, Herrman & Wallesch, 2000).

Literaturverzeichnis

Anderson, C. S., Hackett, M. L. & House, A. O. (2004). Interventions for preventing depression after stroke. Cochrane.Database.Syst.Rev., CD003689.

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Baheux, K., Yoshizawa, M., Tanaka, A., Seki, K. & Handa, Y. (2005). Diagnosis and rehabilitation of hemispatial neglect patients with virtual reality technology. Technol.Health Care, 13, 245-260.

Brooks, B. M., Rose, F. D., Potter, J., Jayawardena, S. & Morling, A. (2004). Assessing stroke patients' prospective memory using virtual reality. Brain Inj., 18, 391-401.

Cicerone, K. D., Dahlberg, C., Malec, J. F., Langenbahn, D. M., Felicetti, T., Kneipp, S. et al. (2005). Evidence-based cognitive rehabilitation: updated review of the literature from 1998 through 2002. Arch.Phys.Med.Rehabil., 86, 1681-1692.

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Cramon, D. & Zihl, J. (1988). Neuropsychologische Rehabilitation. Berlin: Springer Verlag.

Donkervoort, M., Dekker, J., Fieneke, C., Stehmann-Saris, F. C. & Deelman, B. G. (2001). Efficacy of stratefy training in left hemisphere stroke patients with apraxia: A randomised clinical trial. Neuropsychological Rehabilitation, 11, 549-566.

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Hackett, M. L., Anderson, C. S. & House, A. O. (2004). Interventions for treating depression after stroke. Cochrane.Database.Syst.Rev., CD003437.

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Kaschel, R., Della Sala S., Cantagallo, A., Fahlböck, A., Laaksonen, R. & Kazen, M. (2002). Imagery mnemonics for the rehabilitation of memory: A randomised group controlled trial. Neuropsychological Rehabilitation, 12, 127-153.

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Smania, N., Girardi, F., Domenicali, C., Lora, E. & Aglioti, S. (2000). The rehabilitation of limb apraxia: a study in left-brain-damaged patients. Arch.Phys.Med.Rehabil., 81, 379-388.

Sturm, W., Herrman, M., & Wallesch, C.-W. (2000). Lehrbuch der klinischen Neuropsychologie. Lisse, NL: Swets & Zeitlinger.

Sturm, W. & Willmes, K. (1991). Efficacy of a reaction training on various attentional and cognitive functions in stroke patients. Neuropsychological Rehabilitation, 1, 259-280.

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